"Nicht der Wind, sondern das Segel bestimmt die Richtung."
(Chinesisches Sprichwort)

Das Testament zugunsten eines behinderten Kindes

Das Testament zugunsten eines behinderten Kindes

<p>Die Pflege behinderter Menschen, ob sie in einem Heim untergebracht sind oder zu Hause gepflegt werden, verursacht immer hohe Kosten. Für die Unterbringung in einem Pflegeheim, die personalintensive Bereitschaft 24h/Tag sowie individuell abgestimmte Therapien und die Betreuung der Betroffenen sind pro Monat meist mehrere 1.000 € zu bezahlen. Auch die häusliche Pflege kann aufgrund von Personalkosten – von Fall zu Fall – außerordentlich teuer sein. Für die Finanzierung der Pflege behinderter Menschen sind in erster Linie die Pflegeversicherung, aber auch die Betroffenen selbst zuständig. Erst dann, wenn die Leistungen der Versicherung und die Zuzahlungen des behinderten Menschen nicht ausreichen, werden die nahen Verwandten herangezogen. Sind auch diese nicht leistungsfähig, kommt der Staat über die Sozialhilfe für die entstehenden Kosten auf. Bei behinderten Kindern teilen sich also in der Regel die Pflegeversicherung und der Staat die Finanzierung der Pflege, denn die Kinder haben so gut wie nie eigenes Einkommen und Vermögen.<br /> <br /> <br /> <strong>Was passiert, wenn eine Person mit einer Behinderung nach dem Tod eines Elternteils ein Vermögen erbt?</strong><br /> Der zuständige Sozialhilfeträger fordert nun, dass diese für die Zuzahlungen zu den Pflege-kosten das eigene Vermögen einsetzt. Viele Eltern behinderter Kinder befürchten, dass nach ihrem Tod das vererbte Vermögen für die Finanzierung von Pflegekosten in wenigen Mona¬ten oder Jahren aufgebraucht wird.<br /> <br /> Aber hierzu gibt es einen Ausweg:<br /> Ein sog. „Behindertentestament“ ermöglicht es den Eltern, ihren Nachlass für das behinderte Kind und die Familie zu erhalten. <br /> <strong><br /> <br /> Kein Schutz behinderter Menschen bei gesetzlicher Erbfolge.</strong><br /> Nach der gesetzlichen Erbfolge, die in Kraft tritt, wenn die Eltern kein Testament errichtet haben, erbt das Kind neben etwaigen Geschwistern und dem anderen noch lebenden Elternteil. Das behinderte Kind ist nun auf einmal in der Lage, anstelle der Sozialhilfe die Kosten der eigenen Pflege für Monate oder Jahre aus der Erbschaft zu finanzieren. Es verliert dadurch den Anspruch auf Sozialhilfe, bis das Vermögen aufgebraucht und lediglich ein erlaubtes „Schonvermögen“ (Hausrat, sofern vorhanden, angemessene Eigentumswohnung für den Eigenbedarf, ca. 2.600,00 € Bargeld) übrig geblieben ist. Denn die Sozialhilfe greift immer erst nachrangig ein, also dann, wenn sich der Betroffene selbst nicht (mehr) helfen kann. Je nach Einzelfall erscheint unausweichlich, ein mühsam von den Eltern erspartes Vermögen in einer relativ kurzen Zeitspanne für die Finanzierung der Pflege auszugeben.<br /> <br /> <br /> <strong>Enterbung behinderter Angehöriger keine gute Lösung.</strong><br /> Manche Eltern behinderter Kinder versuchen, den Zugang des Sozialhilfeträgers auf den Nachlass durch eine Enterbung des behinderten Kindes auszuschließen. Dabei wird aber übersehen, dass ein enterbtes Kind in jedem Fall den Anspruch auf den Pflichtteil (Hälfte des gesetzlichen Erbteils) hat. Diesen Pflichtteilsanspruch kann der Sozialhilfeträger auf sich überleiten und gegen den Erben geltend machen. Auf eine Entscheidung des pflichtteilsberechtigten Kindes bzw. seines Betreuers kommt es dabei nach der Rechtsprechung nicht an. Die Enterbung des behinderten Kindes vermeidet also nicht den Sozialhilferegress, sondern reduziert nur den Haftungsumfang auf die Hälfte. <br /> <br /> <br /> <strong>Behindertentestament als bessere Alternative.</strong><br /> Eine wesentlich bessere Alternative als die Enterbung ist ein sog. „Behindertentestament“. Damit können Eltern das Familienvermögen erhalten und zusätzlich dem behinderten Kind helfen. Dieses Testament ist in seiner rechtlichen Ausgestaltung sehr komplex und erfordert deshalb eine eingehende Beratung durch einen Erbrechtsexperten. An dieser Stelle sollen nur die zwei grundlegenden Säulen eines Behindertentestaments erläutert werden.<br /> <br /> Erste Säule:<br /> Das behinderte Kind wird als Vorerbe eingesetzt, andere Familienangehörige (z.B. Ge-schwister oder Enkel) oder eine gemeinnützige Institution werden als Nacherben bestimmt. Die Nacherbschaft tritt dabei mit dem Tod des behinderten Kindes ein. Die Erbquote, die das behinderte Kind als Vorerbe erhält, muss dabei immer höher als sein Pflichtteil sein. Ansonsten entsteht ein sogenannter Pflichtteilsersatzanspruch (§ 2305 BGB), der dem Zugriff des Sozialhilfeträgers ausgesetzt wäre.<br /> <br /> Zweite Säule:<br /> Zusätzlich wird eine Dauertestamentsvollstreckung für die gesamte Lebenszeit des behin-derten Menschen angeordnet. Je nach Bedarf des eigenen Kindes und der familiären Situation übertragen die Eltern dem Testamentsvollstrecker die Aufgabe, dem Vorerben bestimmte Leistungen aus dem Nachlass zukommen zu lassen. Auf diese Weise ist es möglich, die Lebensqualität des Betroffenen entscheidend zu verbessern. Ein engagierter Testamentsvollstrecker kann nun aus dem Erbe zusätzliche Pflege, aufwändige Therapien sowie andere, im Einzelfall für den Betroffenen wichtige Dinge finanzieren, für die weder die Pflegeversicherung noch der Staat (über die Sozialhilfe) aufkommt. <br /> <br /> <strong><br /> Ist das Behindertentestament sittenwidrig?</strong><br /> Juristen haben lange Zeit über diese Frage gestritten, ob der durch ein Behindertentesta-ment bewirkte Schutz privaten Vermögens vor staatlichem Zugriff überhaupt moralisch vertretbar ist. Ist es nicht sittenwidrig, dass durch einen geschickte Gestaltung einer letztwilligen Verfügung eine Person mit Behinderung in den Genuss staatlicher Leistungen kommt, obwohl sei eigenes, vielleicht sogar beträchtliches, Vermögen von seinen Eltern geerbt hat? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Jahr 1993 in einer Grundsatzentscheidung diese Frage beantwortet und das Behindertentestament im Regelfall für zulässig erklärt. Die Richter erkannten ein „billigenswertes Interesse“ für ein Behindertentestament an, wenn es sich um kleinere oder mittlere Nachlässe handelt. Was bei größeren Vermögen gilt und wo die kritische Grenze liegt, ist bis dato nicht entschieden.<br /> <br /> Das Urteil des BGH zur Zulässigkeit von Behindertentestamenten war „erblasser- und fami-lienfreundlich“. Was aber in der Vergangenheit richtig war, muss nicht auf immer und ewig richtig bleiben, auch wenn diese Rechtsprechung in den letzten Jahren immer wieder bestätigt wurde. So kann es sein, dass der Gesetzgeber angesichts leerer Kassen in Zukunft solche Möglichkeiten, das private Vermögen zu erhalten und die Allgemeinheit mit Kosten zu belasten, über Gesetzesänderungen ausschließt. Bei einem Ehegattentestament zugunsten eines behinderten Kindes sollte deshalb immer ein Abänderungsvorbehalt aufgenommen werden, damit der Witwer bzw. die Witwe auf eine geänderte Rechtslage oder neue Lebensumstände flexibel reagieren kann.<br /> <br /> <em>Alle Angaben erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr und ohne eine Haftung.<br /> <br /> Dieses Merkblatt ist eine Arbeitshilfe, die allgemein auf das Rechtsthema hinweist und eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen kann. Sollten Sie Fragen zu dem behandelten Thema haben, wenden Sie sich bitte an den unten genannten Ansprechpartner. Wir übernehmen keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Ausführungen.</em></p>

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